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ARTVERGNÜGEN #30 – One Fine Day, The Feverish Library, Douglas Gordon, Changing Perceptions, Letters from Aleppo

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Gourmet-Kollegin Aida brachte mich kürzlich mit einem, vermeintlich harmlosen, Post zum Grübeln über die Sinnhaftigkeit des Art Vergnügens in seiner jetzigen Form. Was mühe ich mich nicht manchmal ab, die richtigen Worte zu finden. Wie dumm! – Kunst kann so einfach sein.

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Quelle: Emojis

Bis die feindlichen Emojis meinen Job übernehmen, verrate ich euch den Unterhaltungswert von Kunstauktionen, lasse mich vom Buchfieber anstecken und von einem Horrorstreifen bei Blain|Southern und im Stattbad aus der Fassung bringen.

Rückblick One Fine Day e.V. Kunstauktion, 10.Februar @ CFA

»Telefongegendensaalgegendensaalgegensiealle…machenwir200mehrwassindschon200mehr…10.000gegendastelefon….
bietensiemehr?nein?wiewollensiedasnurihrenkindernerklären…1000010000fürdenherrnhierimsaal…
10000zumerstenzumzweitenundzumdritten«

Wenn der Finger nicht gerade mit ein paar Millionen behaftet ist, ist so eine Kunstauktion eine ausgelassene Veranstaltung. Am Eingang laufe ich Gastgeber Tom Tykwer in die Arme. Oben entflammt Herbert Grönemeyer für Norbert Schwontkowskis’s „Leuchten“ (2011). Nicolette Krebitz sucht noch eine Collage für’s Wohnzimmer. Hat Benno Führmann einen Telefonbieter an der Strippe? Andrea Sawatzki und Gatte beobachten das Volkstheater. Nach einer rührenden Ansprache der am Projekt beteiligten Parteien sitzt das Geld locker. „For how much did it go?”, fragt Karen Birkin, Chefin von Anno’s Africa, nervös über meine Schulter. Kein Grund zur Sorge; mit dem Erlös sollte sich was ausrichten lassen. Gert und Uwe Tobias’ Druck war mit 36.000 Euro der Kassenschlager. Den ökonomischen Gegenwert von Aberglaube setzt Anselm Reyle’s goldenes „Hufeisen“ (2013) auf 10.000 Euro fest. Hier eine Verdreifachung des Mindestgebots, im Fall von Jonathan Meese’s „Jail or Zeus/ Uwe Bohm“ (1998) eine Verdoppelung. Fundraising dieser Art ist ein für Deutschland unübliches, wie man hier aber erlebt, äußerst lukratives, Format. Chapeau allen spendenden Künstlern und Glückwunsch den – meisten – Käufern.

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The Feverish Library (continued) bei Capitain Petzel
Dass Wissen nicht durch Indoktrination entsteht ist nicht nur die Meinung von One Fine Day. Kunst wie auch Bücher haben eine vielschichtigere Kraft. In „Soll mir lieber Goya den Schaf rauben, als irgendein Arschloch“ hüpft Lars Eidinger (Tränen gelacht in der Schaubühne) von einem Bücherstapel zum nächsten und zitiert in einem erhitzten Monolog den argentinischen Autor Jose Louis Borges. Nichts für Ungut Herr Eidinger, aber Anouk Kruithofs Bibliothek übertrifft Ihre um ein Vielfaches. 3500 Exemplare, überwiegend in der DDR verlegt und osteuropäischen Ursprungs, hat die Künstlerin bei Capitain Petzel zu einer feinst sortierten Mauer gestapelt; macht sich an der Wand so gut wie ein Gemälde. Das Buch als Artefakt. Mit der heutigen Rolle des Printmediums befassen sich im, immer gern besuchten, Glaskubus 28 KünstlerInnen. Einige von waren bereits Teil der Feverish Library der verbrüderten Petzel Gallery New York (2012). Andere, vor allem Berliner Ursprungs, wie Natalie Czech oder Oliver Laric, bereichern bei uns den Sequel.

Das Fiebrige, wird mir erklärt, steckt hier nicht in der Dichte. Vielmehr trage jedes einzelne Werk eine pulsierende Kraft in sich. Ganz heiß wird’s Hervé Humbert beim Anblick der rehartigen Nathalie Portman. Für “Natalie” (2007) durchforstete er vier Tage lang Google nach Bildern der wunderschönen Actrice. “Man will ihrer habhaft werden und bekommt doch immer nur eine Spiegelung. Und je mehr Bilder man sich einverleibt, desto begehrenswerter und zugleich ungreifbarer und unbegreiflicher wird die dargestellte Person” (Humpert). Da liegt sie nun, seine Bibel der Begierde, auf einem altargleichen, verspiegelten Sockel. Freud hätte sein Vergnügen an diesem Wahn gehabt und bekommt bei Capitain Petzel direkt den Platz nebenan. Gleich drei Werke formen eine Art psychoanalytisches Bermudadreieck: Clegg & Guttmanns “Sha‘at‘nez oder die verschobene Bibliothek, re-contextualized – A Social Sculpture” (2004/2005) ist eine raumgreifende Reproduktion des Freud Museums in Wien. Robert Longo hat eben jene Bibliothek fotografiert. Olaf Nicolai wagte sich an eine erstmalige arabische Übersetzung des Textes „Trauer und Melancholie (2009/2012)” und hinterfragt damit die dortige Relevanz der Psychoanalyse. Zu sehen sind die bilingualen Publikationen sowie der Videomitschnitt einer lokalen Radioshow, über welche die Schrift verbreitet wurde. Sag mal weinst du, oder ist das der Regen? – sang schon Rio Reiser. Von der Trauer ist’s nicht weit zum Niederschlag – die Franzosen verwenden direkt das gleiche Wort “pleurer” für “weinen” sowie für “regnen”. Und damit stehen wir, gerade noch vor Freud, jetzt bei Nathalie Czechs Arbeit. “Il pleut by Guillaume Apollinaire” (2012), Teil ihrer Werkgruppe “Hidden Poems”, ist eine sprachhandwerkliche Meisterleistung. Die Poesie von in Poesie versteckter Poesie. Ausgewählten Kollegen gab die Künstlerin einen Satz vor und die Aufgabe mit auf den Weg, die Worte in ihrer vorgegebenen Struktur, wie Regen vom Himmel fallend, in den Text zu integrieren. Es überlagern sich Narrationen und Lesarten und man fragt sich, welche Ebene zuerst da war. Gerade in der Digitalkultur ist die Frage nach der Autorenschaft eine chronische. Czech stellt sie poetischer als je zuvor.

The Feverish Library (continued) ist eine ausgezeichnet kuratierte Ausstellung. Ihr nehmt also besser sofort die Beine in die Hand – am Samstag werden die Bücher nämlich zugeklappt. Am 19.Februar werden, inmitten aller schöner Worte, Olaf Nicolai und Kunstkritiker Thomas Wagner das für ihre Arbeit einflussreichste Werk aus dem Ungers Archiv vorstellen. Dieser Frage geht das Archiv für Architekturwissenschaft mit seiner Veranstaltungsreihe X LIBRIS EX ARTIFEX EX LOCO nach.

The Feverish Library (continued) bis 23.Februar
Capitain Petzel: Karl-Marx-Allee 45, Mitte
Di- Sa, 11.00 – 18.00

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CHANGING PERCEPTIONS – selected_13.1 im Aufbauhaus
Visuelles statt verbales erwartet euch bei der Vernissage von „Changing Perceptions“, die Abschlussausstellung der Kommunikationsdesigner der design akademie berlin. Die Studenten spielen mit unserer Wahrnehmung indem sie uns zwischen analogen Materialitäten und digitalen Bildern, zwischen veralteten Begriffen und exotischen Produkten hindurchleiten. Eine experimentelle Reise durch Raum und Zeit.

Eröffnung 10. Februar 19 Uhr, dann bis 23. Februar
Aufbau Haus Moritzplatz, 1.OG
täglich von 14.00 – 18.00

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Douglas Gordon bei Blain|Southern
Der One Fine Day-Auktion schenkte Douglas Gordon eine Zeichnung. Eigentlich aber ist das Video sein Medium und Existentialismus sein Thema. Mit den Videos in „Sharpening Fantasy“, allesamt in Tangier aufgezeichnet, spielt er mit der Macht der Ungewissheit. Tangier ist schwer zu greifen: nicht wirklich europäisch, aber auch nicht rein orientalisch. Die Schwammigkeit ist dem Westen nicht ganz wohl. Tangier steht für eine Angst davor, was über Afrika zu uns schwappen könnte.

„I hear the knives beeing sharpened, means, any second, now someone is gonna stab me in the back.“ Wir sehen die Hände eines alten Schmiedes, der pantomimisch ein Messer schleift. Das Geräusch einer abgezogenen Klinge geht ins Mark, lässt uns eine Waffe fürchten, die das Video so nicht zeigt. Tangier Psycho. 2012 wurde Gordon, ich berichtete, mit dem Käthe-Kollwitz-Preis ausgezeichnet.
Eine gute Einführung wurde für ARTE CREATIVE gedreht.

“Sharpening Fantasy” bis 28. April
Blain|Southern: Potsdamer Straße 77 – 87, Tiergarten
Di – Sa, 11.00- 18.00 h

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“Letters from Aleppo” im Stattbad Wedding
Bilder des Eröffnungsabends zeigen betroffene Gesichter. Hinter den Bildern bröckelt die Wand. Seit vielen Jahren dokumentiert JUST fotografisch die weltweite Street Art-Szene. Letztes Jahr entschied er mit seiner Kamera in den syrischen Bürgerkrieg zu ziehen. “Seitdem ich mich dazu entschieden habe, nach Aleppo zu fahren,” schreibt er in einem Brief, “habe ich ein mulmiges Gefühl – irgendetwas zwischen Spannung und Angst. Meine Erwartungen an diese Reise waren diffus (…) Ich bin Fotograf, und den Wunsch, einmal in eine Krisenregion zu fahren, habe ich schon seit Jahren. Dass es gerade jetzt Syrien geworden ist, war eine Verkettung von Zufällen.”

Syrische Rebellen und die Armee lieferten sich gestern erneut Gefechte um den seit Januar stillgelegten internationalen Flughafen von Aleppo. 70.000 Menschen starben hier seit Beginn der Aufstände im Frühjahr 2011.

Im Stattbad zeigt JUST Bilder aus New York, Berlin Tel Aviv und Polen, in einer multimedialen Inszenierung seine persönliche Wahrnehmung Aleppos in Briefen, Fotos und Soundaufnahmen.

“Letters from Aleppo” bis 02.März
Stattbad Wedding: Gerichtstraße 65, Wedding
Di – Sa, 17.00 – 20.00 h
Eintritt 3 Euro


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